
Herr Bayraktar, Sie sind während Ihres Studiums in Istanbul und Bochum als freier Journalist zum Radio gekommen. Was hat Sie an dem Medium fasziniert?
Meine Faszination für das Radio beginnt in der Erinnerung an meine Zeit als Kind einer Familie, die aus der Türkei stammt. In den Sommerferien fuhren wir mit dem Auto nach Istanbul und das Autoradio in unterschiedlichen Stimmen und Sprachen war ein wichtiger Teil der Reise.
Im Haus meiner Großeltern stand ein massives, dunkelbraunes Holzgehäuse mit runden Knöpfen, einem beleuchteten Frequenzband und einem Lautsprecher, der klang, als hätte er Weltgeschichte gehört. Es war ein Radio, das Geschichten erzählen konnte, bevor man es überhaupt einschaltete.
Später lebte ich in Istanbul, bin dort zur Schule gegangen und habe studiert. Es waren die 1990er-Jahre, in denen das Radio plötzlich überall aufblühte – eine ganze Welle neuer Sender, Stimmen und Inhalte startete, nachdem das Monopol des Staatssenders vorbei war.
Welche Erfahrungen aus Ihren vorherigen Stationen im WDR können Sie bei Deutschlandradio einbringen?
Nach fast drei Jahrzehnten im öffentlich-rechtlichen Rundfunk sind die Begegnungen mit klugen, engagierten und verantwortungsvollen Menschen der Kern, an dem ich festhalten möchte. Wer in einer Institution wie Deutschlandradio Führungsverantwortung trägt, muss diese Vielfalt an Perspektiven, Erfahrungen und Denkweisen bewusst wahrnehmen, bündeln und als Potenzial begreifen.
In meiner Zeit als Leiter der Landesstudios des WDR, ebenso wie in den Auslandsstudios, die ich zuletzt kommissarisch geleitet habe, habe ich gelernt, wie man über geografische und fachliche Distanzen hinweg Menschen verbindet. Gleichzeitig hat mir meine journalistische Prägung geholfen, auch in technischen und organisatorischen Kontexten Strukturen zu durchdringen, Komplexität zu reduzieren und Prozesse so zu gestalten, dass am Ende etwas Verständliches, Wirkungsmächtiges entsteht.
Und schließlich: Die Zusammenarbeit innerhalb der ARD und in der europäischen Medienlandschaft hat mir gezeigt, wie wichtig strategische Allianzen sind um gemeinsam für Qualität, Transparenz und gesellschaftliche Relevanz einzustehen.
Was schätzen Sie an den Deutschlandfunk-Programmen besonders?
Was ich persönlich sehr schätze ist die Haltung, mit der Deutschlandradio seine Programme gestaltet. In einer lauten, oft polarisierten Medienlandschaft steht Deutschlandradio für Tiefe, für Differenzierung, für das Vertrauen in die Urteilskraft seiner Hörerinnen und Hörer. Man wird hier nicht übertönt, sondern ernst genommen.
Ich empfinde die Angebote von Deutschlandradio als diskursive Räume, in denen gesellschaftlich relevante Themen nicht nur angerissen, sondern vertieft werden. Gleichzeitig gelingt es den Programmen, unterschiedliche Menschen durch klare Nachrichten, zugängliche Formate, kulturelle Vielfalt und gute Geschichten anzusprechen.
Welche Ideen und Impulse bringen Sie für die neue Aufgabe mit?
Die Hauptabteilung Programm-Management ist in den vergangenen Jahren mit viel Kompetenz, strategischem Weitblick und einem klaren Gestaltungswillen aufgebaut worden. Innerhalb der ARD gilt Deutschlandradio gerade im Bereich technologischer Entwicklungen als besonders zukunftsgewandt – das ist ein Ruf, den mein Vorgänger Jürgen Goeres-Petry mit seinem Team durch kluge, vorausschauende Arbeit mitgeprägt hat. Daran will ich anknüpfen.
Ich nehme mir 100 Tage Zeit, um anzukommen. In den ersten 30 Tagen möchte ich zuhören und verstehen: Wie arbeiten die Menschen hier zusammen? Was sind die Herausforderungen in der täglichen Praxis – aber auch die ungenutzten Potenziale? Danach will ich analysieren, strukturieren, verdichten – und erst dann Impulse setzen: Wirkliche Veränderung entsteht aus gemeinsamem Verstehen.
Ich habe mein ganzes berufliches Leben lang an den Schnittstellen zwischen Redaktion und Technik gearbeitet. Ich glaube, dass technisches Verständnis in redaktionellen Kontexten integraler Bestandteil guter Inhalte ist. Auch das Thema Archive begleitet mich schon lange – etwa durch mein ehrenamtliches Engagement beim Aufbau eines Archivs und Museums für die Migrationsgesellschaft in Köln.
Meine Vision ist klar: Deutschlandradio ist heute schon Maßstab für journalistische Qualität im Audiobereich. Ich möchte dazu beitragen, dass wir auch technologisch weiterhin Maßstäbe setzen. Ich freue mich auf diese Aufgabe.
Welche Herausforderungen sehen Sie in den kommenden Jahren – auch für Ihre Arbeit?
Deutschlandradio hat in den vergangenen Jahren beeindruckende Schritte gemacht – inhaltlich wie technisch. Unsere große Aufgabe wird es sein, Inhalte so zu distribuieren, dass sie Menschen wirklich erreichen. Es geht in unserer zunehmend individualisierten Gesellschaft deshalb nicht nur um personalisierte Mediatheken oder algorithmische Systeme – es geht um ein grundsätzliches Umdenken: Wie erreichen wir Menschen in ihrem Alltag?
Ich bin überzeugt: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk wird seine gesellschaftliche Relevanz behaupten – und dafür müssen wir unsere Inhalte hörbar und sichtbar machen. Da werden Programm und Technik sehr gut zusammenarbeiten müssen.
Und weil wir wissen, dass Technologien wie Künstliche Intelligenz künftig noch stärker in die Nutzung von Audio-Angeboten eingreifen werden, ist jetzt der Moment, uns strategisch und nutzerorientiert neu aufzustellen. Nicht reaktiv – sondern vorausschauend.
Haben Sie einen persönlichen Hörtipp – nicht unbedingt aus unseren drei Programmen?
Ein Podcast, der mich wirklich beeindruckt hat, heißt „Ostkinder“. Zwei junge Männer, die in Ostdeutschland aufgewachsen sind, zwei Mikrofone – und dann einfach los. Ohne Redaktion, ohne Verlag, ohne Sender im Rücken. Ein ehrlicher, sehr direkter Blick auf das Aufwachsen in Ostdeutschland. Es wird nicht groß erklärt, sondern erzählt – ungeschönt, aber mit viel Offenheit und Humor. Beim Hören merke ich immer wieder, wie wenig ich über die Ost-Perspektive kenne und das macht mir deutlich, wie wichtig es ist, sich auf andere Perspektiven einzulassen.
Das Gespräch führte Maike Wiechert.