Denkfabrik: Die Zukunft der StädteOder: Eine Reise in die Welt von morgen

Warum wir schöne Visionen brauchen und Zukunft auch in Bildern denken sollten.

Von Dr. Ute Scheub, Politikwissenschaftlerin, Journalistin und Autorin |
Zukunftsbild von Köln, entwickelt vom Projektteam von Realutopien
Zukunftsbild von Köln, entwickelt vom Projektteam von Realutopien (Köln Hohenzollernbrücke, Zukunftsbild 2045, max_c | www.realutopien.info)
Wenn ein Jugendlicher rumhängt und keinerlei Berufsambitionen zeigt, wie würden Sie reagieren? Aus Sorge um ihn würden Sie ihn wohl zu überzeugen versuchen, dass er seine Zukunft planen muss, oder? Dieselbe Frage stellt sich aber auch für Städte, Dörfer und ganze Gesellschaften.
Wir alle leben in Orten, die uns ans Herz gewachsen, aber durch den Klimawandel bedroht sind. Städte und Metropolen erhitzen sich im Sommer besonders schnell und emittieren besonders viele Treibhausgase. Und sie liegen oft an Flüssen, Seen oder Meeren, die über die Ufer treten können. Extremwetter nehmen von Jahr zu Jahr zu, vor allem Überschwemmungen, Dürren und Hitzewellen. Die Folgen: Menschen ertrinken oder sterben den Hitzetod, ganz abgesehen von Milliardenschäden wie im Ahrtal, Ernteausfällen oder absterbenden Wäldern. Warum gibt es dennoch so wenig kommunale Vorsorge, um Klimagefahren abzuwenden oder zumindest zu mildern? Und kaum Visionen einer wünschenswerten Zukunft?
Visionen sind wie Leitsterne, die uns führen. Sie ziehen uns in eine Richtung, geben uns Kraft und die Gewissheit, Sinnvolles zu tun, wenn wir an ihrer Verwirklichung arbeiten. Deshalb haben wir das Buch „Zukunftsbilder 2045“ verfasst, in dem wir anhand von 17 Städtegrafiken zeigen, wie Metropolen sich zukünftig in Orte großer Lebensqualität verwandeln können. Wir wollen anregen, sich allein, in Initiativen oder kommunalen Gremien eine gute Zukunft vorzustellen, die die ökologischen Grenzen des Planeten einhält.
Vor-Stellungen funktionieren in Bildern, und ein Bild sagt mehr als tausend Worte. Das Medium Radio kann nur mit Worten Zukunftsbilder erzeugen. Dazu braucht es Erzählungen von Menschen, die Veränderungen anstoßen. Die Deutschlandradio-Denkfabrik befasst sich in diesem Jahr unter dem Motto „Es könnte so schön sein … Wie gestalten wir Zukunft?“ mit konstruktiven Ansätzen, wie man sich den Herausforderungen der Zukunft stellen kann. Eine Voraussetzung ist die Veränderungsbereitschaft. Ist sie erlernbar? Meine Kollegin Stella Schaller sprach dazu im Januar in den Deutschlandfunk-„Kulturfragen“. Das Gespräch ist über die Deutschlandfunk-Website nachzuhören.
Ein Zukunftsbild der Frankfurter Hauptwache, entwickelt vom vierköpfigen Projektteam von Realutopien
Ein Zukunftsbild der Frankfurter Hauptwache, entwickelt vom vierköpfigen Projektteam von Realutopien (www.realutopien.info | Frankfurt Hauptwache, Zukunftsbild 2045 | Reinventing Society & Render Vision (cc by-nc-sa 4.0))
Die meisten Menschen wissen im Grunde ihres Herzens, wie ein lebenswerter Ort aussehen sollte. Niemand glaubt, dass ein Leben auf einer Verkehrsinsel inmitten von Autolärm und Abgasgestank erstrebenswert sei. Lebensqualität entsteht durch das „menschliche Maß“, das der dänische Städteplaner Jan Gehl – verantwortlich unter anderem für die Umgestaltung von Kopenhagen – so definiert: Menschen wollen sich treffen und unterhalten können, denn das urbane Leben wird erst durch Begegnungen interessant. Öffentliche Plätze sollten einladend gestaltet sein, nichtkommerziell, kleinteilig, bunt, mit Bänken, Bäumen und Büschen. Sie sollten lauschig sein, mit Vogelgesang und sauberer Luft. Stadtgrün und Stadtblau – also Teiche oder Flüsse – sollten für Schatten und Kühlung im Sommer sorgen. Und tatsächlich: Laut einer empirischen Untersuchung der ETH Zürich in rund 300 europäischen Städten sind diese bis zu 12 Grad kühler, wenn es dort sehr viel Grün gibt. 12 Grad weniger in einer Hitzewelle von 40 Grad – das vermeidet zahlreiche Hitzetote und macht einen riesigen Unterschied.
Heutzutage sind globale Naturschäden so groß, dass „Nachhaltigkeit“ – also die Erhaltung des gegenwärtigen Zustands – nicht mehr genügt. Es muss um Regeneration gehen, um Wiederbelebung und Heilung ganzer Ökosysteme. Die weltweit entstandene regenerative Bewegung will deshalb Prinzipien der Natur auf gesellschaftliche Systeme übertragen. Wenn Städte wie Ökosysteme funktionieren würden, dann gäbe es keinen Müll mehr, dann würde jeder Abfall zum Ausgangsstoff für Neues – so, wie es die Natur vormacht. Regenerativ zu sein bedeutet, sich wieder als lebendiger Teil der Erde zu begreifen und in ein Weltbild der Verbundenheit einzutreten.
Dafür bedarf es aber neuer Erzählungen, die Zuversicht statt Angst und Gewinn statt Verzicht vermitteln. „Macht euch die Erde untertan“, hieß es in der Bibel. Was, wenn das ein Druckfehler wäre? Wenn dort stünde: „Macht euch der Erde untertan“? Dann könnte aus dem vorherrschenden Egoismus Ökoismus werden, die menschliche Eingewobenheit in die Biosphäre des Planeten.
Das ist womöglich sogar ein – heute gesellschaftlich unterdrückter – Teil der menschlichen Natur. Schon 1964 prägte der Philosoph Erich Fromm das Wort „Biophilie“: Diese sei „die leidenschaftliche Liebe zum Leben und allem Lebendigen“. Wir Menschen, sagte er, seien per se naturliebend. Abwechslungsreiches Grün empfinden wir als schön und harmonisch, wir fühlen uns wohl und geborgen. Auch die Medizin weiß durch Studien: Waldaufenthalt senkt Stresshormone, Blutdruck und Blutzucker. Kranke genesen schneller, wenn sie vom Bett aus die Natur sehen können. Schon zehn Straßenbäume mehr pro Häuserblock beugen Herzinfarkten und Diabetes vor und verbessern messbar die Gesundheit von Stadtmenschen. Und eine neue Studie legt nahe: Je grüner die Umgebung, desto langsamer altern menschliche Zellen.
Viele Visionen gibt es schon als „Realutopien“: Sie existieren real, oft in Nischen, haben aber das Potenzial, groß zu werden. Kopenhagen ist in Teilen solch eine „Realutopie“: Die Welthauptstadt der Architektur 2023 glänzt bereits heute mit schönen Gebäuden und Plätzen, mit Vorfahrt für Radfahrer und Fußgängerinnen, mit Schutz vor Hitze und Überflutung durch viel Grün und Blau. Dass sie mehrfach als lebenswerteste Stadt der Welt ausgezeichnet wurde, nutzt ihr auch ökonomisch. Gewinn statt Verzicht, wohin man blickt.