Dr. Susanne Schüssler, geboren und aufgewachsen in München, lebt seit 1990 in Berlin und ist die Verlegerin von Wagenbach, dem „unabhängigen Verlag für wildes Lesen“, der in diesem Jahr sein 60-jähriges Bestehen feiert und als wichtiger Verlag für italienische Literatur im deutschsprachigen Raum gilt
Selbst nur ein paar Tage jünger als der Deutschlandfunk, bin ich aufgewachsen mit dem lokalen Radio: Pumuckl jeden Samstag, morgens um 7.25 Uhr die mahnende Stimme des Moderators (woher wusste er, dass ich genau um 7.25 Uhr zur Schule losmusste?), später Thomas Gottschalk im Ghettoblaster, mit dem man auf Kassette coole Songs mitschneiden konnte. Fernsehen hatte ich als Einzige in meiner Klasse nicht, aber zu Olympia 1972 kamen endlich die bewegten und bereits farbigen Bilder ins Haus. Und mit den heiteren der Spiele die verstörenden des Überfalls auf die israelischen Sportler. Die Unschuld des Fernsehens war für mich sofort verloren.
Radio blieb mein Lieblings-„Massenmedium“, mein Studium endete mit einer Dissertation über einen Rundfunkpionier: Ernst Hardt, der als Dichter im Dunstkreis Stefan Georges begonnen hatte und zu einigem Ruhm im neuen Weimar gelangte, wurde 1926 als erster Intendant der neu gegründeten Westdeutschen Rundfunk AG installiert – was für ein Weg, von George zu innovativen Hörspielen mit Bert Brecht! Und auch diese Geschichte ein Lehrstück: Wie alle anderen Rundfunk-Intendanten wurde Hardt 1933 von den Nazis entlassen und im Reichsrundfunkprozess angeklagt, der Sender wurde gleichgeschaltet.
Als ich 1991 beim Wagenbach Verlag begann, eine Presseabteilung aufzubauen, war das eine beinahe leichte Aufgabe: In allen Rundfunkhäusern saßen hochgebildete, oft legendäre Redakteure (meist Männer) mit unendlich vielen Möglichkeiten und scheinbar unbegrenzter Sendezeit. Bücher und kulturelle Auseinandersetzungen wurden ernst genommen.
Mit den neuen Konsumgewohnheiten durch Privatfernsehen und Netzwelt kamen Programmreformen und mit ihnen die Verflachung. Deutschlandradio trotzte als Leuchtturm im stürmischen Meer den angeblichen Erfordernissen der Medienindustrie. Mit der Zusammenlegung von Deutschlandfunk, RIAS und Deutschlandsender Kultur zum Deutschlandradio – eine der (eher raren) weitsichtigen politischen Entscheidungen in der Folge des Mauerfalls – wurde eine kluge Konstruktion geschaffen. Und noch beeindruckender: Man drängte den Trend zur Unterhaltung zurück und schuf ein Forum für Kultur, das europaweit seinesgleichen sucht.
In einer Zeit, die politisch – sagen wir freundlich – wackelig daherkommt, ist eine Institution wie Deutschlandradio bitter notwendig: solide Information statt Betroffenheit, differenzierte Betrachtung statt Vereinfachung oder gar Verniedlichung, kühle Argumentation statt Wohlfühlen. Auch hier gilt Michelle Obamas Satz: „When they go low, we go high.“
Und noch etwas: Das Neue und Unerhörte steht meist abseits und kommt auf ganz leisen Sohlen. Es ist oft witzig oder komisch, verblüffend oder gar verstörend. Als Programmverlag ist es unsere Aufgabe, dies in Büchern zu entdecken und zu verbreiten. Dafür brauchen wir Verbündete. Einen besseren als Deutschlandradio mit seinen vielen Sendeformaten für Literatur, mit seinen gebildeten und neugierigen Redakteurinnen und Redakteuren, aber auch mit einem offenen Ohr für die Bedingungen des Marktes gibt es kaum.
Morgens, wenn ich von meinen beiden Programmen heiter begrüßt und gut informiert im Verlag ankomme, schaue ich als Erstes die Verkaufszahlen an. Und freue mich über den Ausschlag durch eine kenntnisreiche und Lust machende Besprechung (ein kluger Verriss geht auch) eines unserer Bücher bei Deutschlandradio. Ich baue fest darauf, dass es in den nächsten 30 Jahren so weitergeht. Alles Gute zum Geburtstag! – Ach übrigens: Meine (viel zu selten gehörte und im Wortsinn horizonterweiternde) Lieblingssendung ist „Sternzeit“. Das ist Kult.