Berichte aus Mecklenburg-VorpommernLeben und arbeiten, wo andere Urlaub machen

Wie es wirklich ist, an einem Ort zu leben, wo andere Urlaub machen? Silke Hasselmann berichtet aus ihrem Alltag als Landeskorrespondentin in Mecklenburg-Vorpommern.

Porträt: Silke Hasselmann
Silke Hasselmann ( Deutschlandradio / Bettina Fürst-Fastré)
Leben, wo andere Urlaub machen – für Landeskorrespondenten in Mecklenburg-Vorpommern stimmt das unweigerlich. Ich zum Beispiel lebe seit vier Jahren in der Landeshauptstadt Schwerin, umgeben von sieben Seen, viel Wald, Flur, Schlossensemble und sanierter Altstadt mit UNESCO-Weltkulturerbe-Ambitionen. Doch mehr noch: Hier kann man oft auch arbeiten, wo andere Urlaub machen.
Erkundungen auf Rügen
Zweieinhalb Tage hatte ich eingeplant, um die ca. 1.000 m² große Ostseeinsel Rügen zu durchmessen. Zu erstellen war ein ‚Länderreport‘ von 15 Minuten Länge über die Frage, wie sehr die Tourismuswirtschaft auf Rügen einem ‚Betten- und Bauwahn‘ verfallen ist und damit das zu zerstören droht, was die meisten Inselbesucher neben Sonne und Strand auf Rügen suchen: Ruhe und unberührte Natur. Damit sich die Reisestrecke von 2 x 240 Fahrtkilometern noch mehr lohnt, hatte ich gleich weitere Termine für andere Reportagen gemacht: vom Statusbericht in Sachen A20-Krater bei Tribsees bis zum Interview mit Rüganer Landwirten über die befürchteten Brexit-Folgen. Und nein – die beiden sommerlich milden Mai-Abende hatte ich leider nicht promenierend am Ostseestrand verbracht, sondern arbeitend in meiner Unterkunft im Hinterland. Denn für den Deutschlandfunk Nova-‚Grünstreifen‘ musste eine Reportage über ein Schweriner Unternehmen fertig werden, das den allgegenwärtigen Abfall von Verpackungsfolien und Plastiktüten zu hochwertigem Sekundär-Kunstrohstoff aufarbeiten kann und derzeit vor allem bei der chinesischen Chemieindustrie in aller Munde ist. Übrigens eines von gar nicht so wenigen Unternehmen in Mecklenburg-Vorpommern, die in ihrer Nische Weltspitze sind, wie ich längst gelernt habe.
Usedom und mehr
Anfang Juni fuhr ich auf die Insel Usedom. Ja, ein Mecklenburg-Vorpommern-Landeskorrespondent darf beneidet werden! Auch diesmal hat es funktioniert, auf dieser zeitraubenden, kilometerreichen Reise gleich noch andere Themen und Termine in der ostvorpommerschen Region abzuräumen:
Wenn die Landesgrenze keine Rolle spielen soll: Stand der Kooperation der grenznahen deutschen und polnischen Notrettungsdienste.
Verkehrskollaps in den Kaiserbädern: Warum viele Usedomer den Bau des polnischen Swine-Tunnels fürchten.
Zufall oder kriminelle Taktik? Warum immer wieder Greifvogel-Horste in Windparkeignungsgebieten zerstört werden.
Erfahrungen im Landkreis Vorpommern-Greifswald mit dem deutschlandweiten Vorreiterprojekt des Telenotarztes im dünn besiedelten, überalterten ländlichen Raum.
Erfreulicherweise fällt den Kollegen in Köln und Berlin nicht mehr nur bei ‚Rechtsextremismus‘, ‚abgehängte Regionen‘ und ‚Massentierhaltung‘ ein, dass es im Nordosten ein Land namens Mecklenburg-Vorpommern gibt. Doch im Großen und Ganzen trifft zu, was mir beim Vorstellungsgespräch 2015 angekündigt wurde: ‚Meck-Pomm‘ ist aus Redaktionsperspektive kein ‚Angebotsland‘ wie Bayern, NRW, Berlin oder auch Sachsen, wo ständig so vieles mit überregionaler Fallhöhe passiert, dass sich eine aktuelle Berichterstattung durch den ‚Landeskorri‘ von selbst versteht. Mecklenburg-Vorpommern zählt vielmehr zu den Ländern, wo es vor allem gilt, eigene Geschichten auszubuddeln und zu ‚verkaufen‘.
Ein guter Platz zum journalistischen Arbeiten
Übrigens: Zwar höre ich bei manchen Kollegen mitunter noch immer Vorurteile gegenüber dem Leben in der (nord-)ostdeutschen Provinz heraus. Doch was ich zuvor während meiner fünf USA-Korrespondentenjahre erlebt habe, gilt erfreulicherweise auch hier: Ich darf, ja ich soll meine Augen und Ohren offen halten und unseren Hörern berichten, was ist. Und nicht, was sich andere vorstellen, was in Mecklenburg-Vorpommern wie sei. Ich verdiene mein Geld überwiegend mit selbst recherchierten Geschichten. Passiert dann doch einmal unvorhergesehen etwas Spannendes, mitunter Kurioses in ‚Meck-Pomm‘, bin ich oft schon mit Reisen/Interviewen/Schneiden/Texten/Produzieren der eher aufwendigen Reportagen und Hintergrundgeschichten beschäftigt. Doch es bleibt dabei: Mecklenburg-Vorpommern ist ein guter Platz zum journalistischen Arbeiten. Und das nicht nur in Ecken, wo andere Urlaub machen …

Silke Hasselmann

Landeskorrespondentin Mecklenburg-Vorpommern