Stück über die Verfolgung von Sinti im NationalsozialismusRobert Geisendörfer Preis für "Keine Namen, niemand" von Annette Kufner

Das Doku-Hörspiel „Keine Namen, niemand“ wurde mit dem Medienpreis der evangelischen Kirche in der Kategorie „Allgemeine Programme Hörfunk“ ausgezeichnet.

Eine Familie in den 1930er Jahren
Was ist in der NS-Zeit mit Sinti- und Roma-Familien passiert? Und wie kann man sich heute daran erinnern? (privat)
Das Doku-Hörspiel „Keine Namen, niemand“, eine Produktion von Deutschlandfunk Kultur, hat den Medienpreis der evangelischen Kirche gewonnen. Die Hörspielautorin Annette Kufner und die Regisseurin Franziska Stuhr wurden mit dem Robert Geisendörfer Preis in der Kategorie „Allgemeine Programme Hörfunk“ ausgezeichnet.
Die Verfolgung begann mit Körpervermessungen und Adressenlisten
Annette Kufner erzählt in dem dokumentarischen Hörspiel „Keine Namen, niemand“, wie Sinti und Roma in der Zeit des Nationalsozialismus drangsaliert und verfolgt werden. In einem kleinen Ort, in dem jeder jeden kennt: Seit 200 Jahren wohnen Sinti hier, längst kaum mehr von den anderen Ortsbewohnern zu unterscheiden. Das Hörspiel schildert anhand von Original-Dokumenten nach einer wahren Begebenheit, wie die Repressionen unter einem übereifrigen Bürgermeister zunehmen, wie bei den Kindern „angeborener Schwachsinn“ diagnostiziert und die Sterilisierung empfohlen wird. 1943 verschwinden ganze Familien aus dem Nordviertel, sie werden in Zügen abtransportiert. Von 139 Menschen kehren nur elf in den Ort zurück.
Später will keiner der Verantwortlichen im Ort damit zu tun gehabt haben. Aber auch die Nachfahren der Deportierten und Ermordeten scheuen die Erinnerung an das, was ihnen, ihren Familien und Nachbarn angetan wurde.
Angst vor Stigmatisierung bis heute
„Das Hörspiel dokumentiert – im besten Sinne“, so die Jury in ihrer Begründung. „Es dokumentiert auch, wie das schreckliche Geschehen später, nach dem Krieg, totgeschwiegen wurde. Kufner macht auf exemplarische Weise deutlich: Viele haben es gesehen, viele haben weggeschaut, einige haben mitgemacht und manche sogar profitiert davon, dass ihre Nachbarn enteignet und deportiert wurden. […] Die wenigen verurteilten Täter wurden bald wieder begnadigt. Es hat einen guten Grund, dass in diesem Hörspiel die Namen des Ortes und der Menschen, von denen die Rede ist, geändert wurden. Es ist derselbe Grund, aus dem auf dem Gedenkstein, der 2002 in dem Ort zur Erinnerung an die verfolgten Sinti und Roma errichtet wurde, keine Namen stehen: Die Nachkommen der Verfolgten hatten Angst davor, identifiziert und erneut stigmatisiert zu werden.“
Das Hörspiel wurde am 10.3.2024 erstmals im Programm von Deutschlandfunk Kultur gesendet. Es ist abrufbar unter:
Hörspiel: „Keine Namen, niemand“ von Annette Kufner
Annette Kufner, geboren 1988 in Siegen, arbeitet als freie Redakteurin für den Hörfunk und als Künstlerin in Berlin. Sie studierte Politikwissenschaft, Geschichte und Soziologie in Kanada und Frankreich und später Malerei in Leipzig. „Keine Namen, niemand“ ist ihre erste Hörspielarbeit.
Franziska Stuhr, geboren 1993 in Tübingen, arbeitet als Regisseurin für Theater und Hörspiel in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Sie studierte Regie am Mozarteum in Salzburg und am Institut del Teatre in Barcelona.
Keine Namen, niemand
Hörspiel von Annette Kufner, Regie: Franziska Stuhr
Mit: Tilman Strauß, Inga Busch, Ulrich Noethen, Sabine Falkenberg, Jasmin Borinsky, Birte Schnöink, Rajko Geith, Marc Benjamin Puch, Constanze Becker, Holger Bülow, Veronika Bachfischer
Besetzung: Kathi Bonjour, Ton und Technik: Alexander Brennecke und Gunda Herke
Dramaturgie Hörspiel: Barbara Gerland
Deutschlandfunk Kultur 2024